HEINER MÜLLER: Menschheitsgeschichte ist ja auch Naturgeschichte. Der Kampf der Silberfische in meiner Neubauwohnung zum Beispiel: Es sind wenige, aber ab und zu kommt einer hoch bis in die 14. Etage; wahrscheinlich sind sie in den unteren Etagen sehr viel zahlreicher. Aber manchmal, morgens, wenn ich so in das Bad komme, hat sich gerade wieder einer die Wanne hochgearbeitet. Den spüle ich dann weg; drei Tage später ist wieder einer da, wahrscheinlich nicht derselbe, die leben ja irgendwie kollektiver. Für die Silberfische ist, was sich da abspielt, Geschichte. Aus hinreichend astronomischer Entfernung ist unsere Geschichte auch nichts anderes als der Versuch, an den Rand der Badewanne zu gelangen. Was die Silberfische nie schaffen, solange die Wohnung bewohnt ist; sie haben einfach nie genug Zeit, wirklich so hoch zu kommen. Das ist nicht leicht. Bleibt die Frage, wer wohnt gegen uns. Stört unser höheres Streben, spült uns weg. Oder machen wir das wirklich selber.[…]
Das ist die Sinn-Frage. Aber irgendwie scheint es drin zu sein, dieser Drang nach oben. Oder draußen. Auch bei den Silberfischen. Dabei haben sie es doch gut in den Leitungen. Was treibt sie aus der Wanne? Überdruss am Alltag, Lust auf Abenteuer, Grenzüberschreitung. Lust auf Schuld und Sühne.
Macbeths Dolch Monolog aus Roman Polanskis Macbeth (1971) als neuer Bezugsrahmen zu Dario Argentos Giallo-Horror Film Panik in der Oper (1987).
Hexen, Geister, abgetrennte Gliedmaßen, Gerede von Erektionsstörungen und jede Menge Blut — Shakespeares Macbeth ist der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind. Oder auch das gewisse Etwas, das einen billigen Horror B-Film einzigartig machen kann. Allein der Name flößt noch immer so viel Angst ein, dass er nicht in einem Theater ausgesprochen werden darf. Trotzdem traut sich alle paar Jahre eine weitere Regisseur*in Shakespeares dunkelstes Stück für die Leinwand zu adaptieren. Akira Kurosawa, Orson Welles, Roman Polanski. In diese großen Fußstapfen folgt dieses Jahr Joel Coens The Tragedy of Macbeth. Ein mutiger Schritt, seinen ersten Film, der nicht im co-genialen Tandem mit Bruder Ethan Coen entstehen würde, diesem Text zu widmen. Und als auch noch bekannt wurde das Indie-Darling A24 den Film produziert, waren die Erwartungen kaum noch zu überbieten. Shakespeare, Coen, A24. Es war als würden einem drei Hexen in einer Berlin-Mitte Boutique den Kaffeesatz lesen. Die Prophezeiung: Something wicked this way comes.
Auf den ersten Blick erfüllt Coens Debüt als alleiniger Regisseur auch diese großen Erwartungen. Der Film ist ein technisches Meisterwerk. Auf den zweiten Blick ist es jedoch eine stumpfe und tödlich prätentiöse Interpretation von Shakespeare. Über allem thront der Minimalismus. Coen hat in seiner Version eine klinisch reduzierte Welt geschaffen. Angefangen bei dem kontrastreichen Schwarz-Weiß bis hin zu der klaustrophobischen Kadrage im 4:3 Format, gipfelt diese Ästhetik im spartanischen Szenenbild. Anders als seine Vorgänger hat Coen nämlich nicht auf die Authentizität von mittelalterlichen Burgen vertraut, sondern den gesamten Film im Studio gedreht. Die komplette Kontrolle des Filmemachers über die Mise-en-scène ist dadurch in jeder Einstellung überwältigend. Kahle Torbögen, eigens geschaffene Wolkenbilder oder endlose Wüsten konnten so perfekt arrangiert werden, um kantenscharfe Schattenspiele zu inszenieren. Es sind abstrakte Schachbrettmuster, die so auf der Leinwand entstehen. König und Königin dieses Schachspieles sind Denzel Washington und Frances McDormand, die den kühlen Hintergrund durch ihr unnachahmliches Spiel mit Leben füllen. Anders als Roman Polanski oder Orson Welles, die langatmige Monologe durch Voice Over abkürzten, traut Coen den beiden auch die längsten Textpassagen vor der Kamera zu. Und das mit Erfolg. Man hängt an den Lippen der beiden sowie auch an den buschigen Augenbrauen von Bertie Carvel, der den treuen Königsmacher Banquo verkörpert.
Diese Lichtblicke werden aber durch das theaterähnliche Szenenbild und dem absoluten Minimum an Inszenierung erdrückt. Coen verbildlicht somit, wie kein anderer Regisseur vor ihm, das Motiv des unausweichlichen Schicksals, welches Macbeth nicht entkommen kann. Jedoch fehlt somit der Geschichte jegliche Tiefe. Sobald das Auge sich an den stylischen Look gewöhnt hat, wird jeder weitere Monolog, jede dramatische Pause zu einer Farce. Denn die Charaktere kommen nie über den Status von Spielfiguren, die einer Ikea-artigen Anleitung folgen, hinaus. Coens künstlerische Vision ist also genauso zermürbend für die Zuschauer*in wie das allgegenwärtige Schicksal für Macbeth. Es erdrückt jede Emotion, jeglichen Horror, der diese Geschichte so spannend macht. Macbeth kann nur wirklich zur Tragödie werden, wenn ihr Protagonist sich auf manische Art und Weise daran versucht, dem Schicksal zu entkommen. Es ist die Hybris, der Größenwahn, das Streben nach Macht und die menschlichen Abgründe, die dieses Shakespeare Stück unsterblich machen. Doch in Coens Interpretation wird all dies glattgebügelt und unter glänzenden Flächen begraben.
Wenn Macbeth von Banquos Geist heimgesucht wird, reißt sich Denzel Washington nicht etwa die Haare aus oder verfällt einer wütenden Raserei. Nein, in dieser Verfilmung schreitet er aus einem kahlen Zimmer in das nächste, landet punktgenau auf seiner Markierung und setzt nahtlos zum Monolog an. Zugegeben, die wenigen Haare könnte sich Mr Washington nur schwer ausreißen, aber trotzdem kann man nicht umher die Leinwand anschreien zu wollen. Trau dich doch etwas! Ist man der elitären Lesart, die Shakespeare auf ein unerreichbares Podest erheben will, nicht längst satt geworden? Kurosawas Macbeth-Adaption Throne of Blood entzauberte doch schon vor mehr als 50 Jahren den Mythos, dass Shakespeare nur einem elitären Theaterpublikum zugänglich ist. Durch blutrünstige Action-Sequenzen wurde Macbeth zu einem Kinoerlebnis. Es war eine Rückkehr zu Shakespeares Anfängen, als seine Stücke als Spektakel für die Massen inszeniert wurden. Erst später wurden seine Stücke dann als Genuss für wenige fetischisiert. Schon bei seiner Uraufführung im 17. Jahrhundert muss Macbeth eher wie ein Splatter Film gewirkt haben als ein klassisches Drama. Coen tauscht aber Schweineblut und Schießpulver für viel Theaterschminke ein. Es ist genau dieses Missverständnis, welches Shakespeare abtötet, ihn wieder und wieder zu der Galionsfigur einer verstaubten Bildungsklasse macht. Und aus all seinen Stücken bietet Macbeth die größte Chance damit zu brechen. Es könnte ein blutrotes Feuerwerk sein, welches auf der Kinoleinwand abgefackelt wird und dem alten Text neues Leben einhaucht.
Sowie ich das sehe, sollte echtes Kino sich wagen, Shakespeare in die Gosse zu ziehen, Macbeth in Blut zu ertränken. Alles andere ist eine Verschwendung der gewaltigen Emotionen, die dieser alte Text immer noch entfesseln kann. Ich will Shakespeare nicht als hohes Kulturgut aufgezwungen bekommen, das nur mit Samthandschuhen angefasst werden darf. Heute will ich Macbeth als Splatter-Film sehen, der einem Serienmörder mit schwarzen Lederhandschuhen folgt und literweise mit Kunstblut um sich wirft. Nehmen wir zum Beispiel das Genre des Giallos, des Spaghetti-Horrors. Wie kein Zweiter hat Giallo Meister Dario Argento in seinen Filmen das hässliche Gesicht der menschlichen Begierde unter viel Kunstblut freigelegt. Ähnlich wie Shakespeare spielt er mit den Abgründen, die sich auftauen, wenn man sich dem Verlangen nach Macht, sei es politischer oder sexueller Natur, total unterworfen hat. Argentos Film Panik in der Oper wird zwar nie als Macbeth-Interpretation angesehen, aber es ist der Film, der dem Original am meisten Ehre macht. Die gewaltsamen Morde an einem Opernensemble, das Macbeth aufführt, werden hier so genussvoll dargestellt, dass jeder Hieb und Stich des Serienmörders mehr aussagt als alle Monologe in Coens neuem Film. Während Coen wenig Neues in Shakespeare findet, ergründet das Genre des Giallo-Horrors die menschlichen Abgründe auf selbstreflexive Art und Weise. In Panik in der Oper lässt Argento eine entfesselte Kamera die Opfer des Serienmörders in langen Einstellungen unerbittlich verfolgen. Das Spiel dauert so lange, bis die Zuschauer*in sich bewusst wird dem Mord genauso entgegenzufiebern wie der fiktive Mörder. Das Horror-Genre entpuppt sich hier selbst als Spiegel der eigenen Gewaltbereitschaft. Eine Gewaltbereitschaft, die in den johlenden Zuschauer*innen des 17. Jahrhunderts genauso vorhanden war wie heute in den stillen Sitznachbar*innen eines abgedunkelten Kinosaals. Also: Mach mehr Giallo, Coen! In anderen Worten, traue es der Zuschauer*in wenigstens zu, etwas Neues in den alten Formen des Theaters zu erkennen. Mit dem Western The Ballad of Buster Scruggs hattest du schon mal einen Goldschatz an neuen Erkenntnissen mittels einem altbekannten Genre ausgegraben. Die einzige Frage, die nun nach The Tragedy of Macbeth über bleibt, ist also, was ist hier die wahre Tragödie? Das ein großes Shakespeare Stück einen schrittweit unzugänglicher gemacht wurde, oder das dem großen Joel Coen ohne seinem Bruder an der Seite einfach der Witz fehlt?
Seit längerer Zeit schwirrt da ein Gedanke in meinem Kopf: DIE VERÄNDERUNG DES GANZEN. Es handelt sich hierbei um eine Miniserie über eine linke WG, die Tag für Tag den sozialen Umsturz zwecks Utopie-Realisierung plant, sich dabei jedoch permanent verzettelt, verheddert, sich hedonistisch zerstreut.
Im vergangenen Herbst gab es eine Ausschreibung vom NDR & WDR. 20.000€ für junge Filmemacher*innen, um eine Serie zu schreiben. Die Gelegenheit schien perfekt.
Geklappt hat es leider trotzdem nicht.
Die Ausschreibung gab mir jedoch zu denken, financial-wise. 20.000€ entsprächen einer Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zum Beispiel:
*Lily Latté mit Katze, Theodor Adorno mit Hund, Fritz Lang mit Opossum.
Im Scheine [der Feindschaft der kalten Vernunft] wird Gefühl und schließlich aller menschlicher Ausdruck, ja Kultur überhaupt der Verantwortung vor dem Denken entzogen, verwandelt sich aber dadurch zum neutralisierten Element der allumspannenden Ratio des längst irrational gewordenen ökonomischen Systems. Sie hat sich seit den Anfängen auf ihre Anziehungskraft allein nicht verlassen können und diese durch den Kultus der Gefühle ergänzt. Wo sie zu diesen aufruft, richtet sie sich gegen ihr eigenes Medium, das Denken, das ihr selbst, der sich entfremdeten Vernunft, immer auch verdächtig war. Der Überschwang der zärtlich Liebenden im Film fungiert schon als Hieb auf die ungerührte Theorie, er setzt sich fort im sentimentalen Argument gegen den Gedanken, der das Unrecht attackiert. Indem so die Gefühle zur Ideologie aufsteigen, wird die Verachtung, der sie in der Wirklichkeit unterliegen, nicht aufgehoben. Daß sie, verglichen mit der Sternenhöhe, in welche die Ideologie sie transportiert, stets als vulgär erscheinen, hilft noch zu ihrer Verbannung mit.
– Horkheimer/Adorno: Die Dialektik der Aufklärung (Fischer, 1969), S. 83
Ein Argument gegen die Ästhetisierung der Liebesszene im Film?
I got handed a packet by Paul Thomas Anderson, you know, the famous director, you know, the guy who did Magnolia, the guy, you know him. He turned up at my door and gave me my amazon packet and he said, we at amazon care deeply about your well being as a customer. And I said to him, Paul Thomas Anderson, is that really you? But he shrugged it of and said he needed a signature. But I said to him „Listen Paul Thomas, what is happening to us? Hasnt this been the promised land, hasnt this been the frontier of opportunity? Now look at us. Exchanging signatures and packets like a bunch of animals“ Then Paul looked around and said to me we at amazon we are really looking out for you you know, we have your best interest in mind. I HAVE ORDERED A VASE PAUL THOMAS I screamed at him I DIDNT ORDER A THREAT. But he was long gone and only my packet with a broken vase stood there, reminding me of the recent presence of the great director.
Joseph Steinschleuder ist ein genügsamer Mann. Von seinen Freunden wird er als still und weise beschrieben, vergleichbar mit einem Ozean. Er legt großen Wert auf Geselligkeit und Familie, sein Lieblingsautor ist das Leben.
Ein zittriger Zyklop mit Kurzzeitgedächtnis tastet sich durch flache Räume, schweift über Oberflächen zwischen Glätte und Tiefe, Erinnerungen heimsuchend. Blicke spuken umher, aber der freie Platz bleibt unberührt. Nur die (Gemüts)Bewegung auf dem Teppich und der Staub im Auge sind dreidimensional. Selig sind, die da Leid tragen im Panorama zwischen Pathos und Plattheit.
Lotta Beckers studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, absolviert zurzeit ihren Master in Europäischen Medienwissenschaften in Potsdam und bewegt sich ansonsten in ihrer Arbeit fließend zwischen Theater, Performance und Choreographie.
Wenn ich alleine bin, überfallen mich die Worte. Ich sitze an meinem Schreibtisch, lese einen Text für die Uni oder schaue vielleicht einen Film – dann: Eine Tür wird aufgetreten, Glas zerbricht, die Maskierten stürmen herein. Es klingt aus der bodenlosen Leere meines Bewusstseins: “Ah, ich brauche noch Eier.” Die Wörter machen es sich bequem ohne, dass ich dagegen etwas tun könnte.
Mein Selbst als solches ist ein Netz aus Sprache. Ohne Worte wäre ich nicht nur nicht Ich, sondern Nichts. Das gespenstige Etwas, das ich Ich nenne, offenbart sich nur im stillen Selbstgespräch, dem Denken. Will ich etwas schreiben, teilt es sich in A und B, in beginnt darüber zu streiten, wie beispielsweise die Szene ausgestaltet, welche Worte in die Münder der Figuren gelegt werden sollen.
Selbst wenn mein bewusstes Selbst nicht anwesend ist, ist mein Ich in Form von Wortgebilden zugegen. So wache ich manchmal auf, weiß nicht wo/wer/was ich bin, weiß nur, dass da dieser Satz ist, unreflektiert und nüchtern:
“Ah, ich brauche noch Eier.”
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05.05.2021, 16:45
Lieber Leo,
deine Flut an Worten hat mich untergraben. So viele Buchstaben und Hüllen, dabei sehe ich nur ein Ei. Das Ei liegt oberhalb meiner Lider, erscheint an einem mysteriösen Ort jenseits meiner Stirn, weder innerhalb noch außerhalb meiner Selbst.
Das Bild eines Eis. Als Konsequenz: Das Gefühl, nochmal zum Supermarkt gehen zu müssen.
Also, was war nun zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Das Wort oder das Bild?
Ich bin neugierig: Was passiert in deinem Gehirn, wenn du an deine Mutter denkst? Das Wort Mutter?
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16.06.2021, 19:29
Liebe Ella,
entschuldige bitte das unangenehm lange Schweigen meinerseits – betrachte es vielleicht als Wiedergutmachung der Wortflut zuvor. Wenn ich das Wort ‘Mutter’ höre, sehe ich eine Fotografie meiner Mutter, in welcher sie meine kleine Schwester, damals eine Neugeborene, im Krankenhaus in den Armen hält. Es gibt eine zweite Fotografie, auf der man mich, gerade einmal drei Jahre alt, bei ihr am Krankenhausbett stehen sieht, in der Hand eine Fanta-Dose. Ich glaube hierbei handelt es sich um meine erste Erinnerung – ich erinnere mich an die Fanta-Dose – wie ich sie im Krankenhausaufzug, mein Vater neben mir, in der Hand halte und mich freue. Daran, meine Schwester, diesen neuen Mensch, im Krankenhaus gesehen zu haben, erinnere ich mich nicht…
Was hältst Du von diesem Textauszug: (Keine Sorge – es besteht, so meine Hoffnung, ein thematischer Bezug):
““An nichts so richtig – filmästhetischen Kram. Findest du nicht auch, dass der konventionelle Film etwas faschistisches hat? Alles muss immer sichtbar sein. Nichts wird offen gelassen. Das Publikum wird von einer Einstellung in die nächste gehetzt, sodass die Bilder gar nicht atmen können. Die grundsätzliche Methode in vollendeten Bildern zu erzählen ist faschistisch, weil Bilder bereits den letzten Schritt verkörpern und die Gedanken in unseren Köpfen kolonialisieren. Sie befehlen mir, was ich zu sehen habe. Wörter hingegen sind lediglich abstrakte Symbole der Wirklichkeit, sie überlassen unserer Fantasie den letzten Schritt. Ich sage: Das schöne Kind lacht im Blumenfeld. Und deine Fantasie formt ein freies Bild, das nur dir gehört. Dasselbe gilt für die Musik“, sage ich bestimmt und bin selbst überrascht.“
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20.06.21, 23:51
Lieber Leo,
spannend, dass du eine Fotografie siehst, und keine echte Erinnerung. Gibt es deine Mutter auch als etwas Bewegliches in deiner Erinnerung? Könntest du sie dir vor dem inneren Auge vorstellen, an irgendeinem Ort?
(Anekdote: Was von der Geburt meines jüngeren Bruders hängengeblieben ist, ist ebenfalls nicht dieser sonderbare neue Mensch – sondern ein Plüschtieraffe, den ich von den Hebammen geschenkt bekommen hatte. Kommt man denn als Kind schon materialistisch auf die Welt?)
Naja. Zurück zum Blabla:
Film ist ein visuelles Medium. Folgt man deinem oben zitierten Text, sollte man nie wieder Filme schauen und ab sofort nur noch zur Literatur greifen, besser noch, die Augen verschließen.
Ich habe mich zurückgehalten, den Begriff Faschismus – ein großes und schweres Wort – in Google reinzuhauen, um eine so offene Verwendung zu überprüfen. Ein weiteres von diesen vielen vielen Wörtern.
Den Urheber dieses Textes würde ich gerne fragen: Ist die Mona-Lisa für dich faschistisch? Ist ihr berühmtes Lächeln vollendet und eindeutig?
Ich gebe zu: Bilder verbergen nichts. Doch solange die Bilder atmen, großzügig gewählt sind, kann ein jeder selbst bestimmen, wohin er sieht. Und geht es gleichzeitig im Kino nicht gerade darum, was man nicht sieht? (Die Leinwand als Fenster zu einer viel größeren Welt jenseits des Frames.)
Wenn Bilder nichts verbergen, ist zumindest ihr Sinn immer zweifelhaft (wenn nicht sogar irrelevant). Und genau das unterscheidet sie von Worten, Worte, die immer einen Sinn (oder mehrere) haben, denn ist das nicht die einzige Funktion der Wörter? Den Objekten und Bildern um uns herum einen Sinn zu verleihen – und damit eine Berechtigung zu existieren?
Um dir noch etwas zurückzuspielen; ein Satz aus Hermann Hesses Siddharta:
„Es gibt kein Ding, das Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana.“
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24.06.31, 14:54
Liebe Ella,
danke für deinen schönen Brief. Fantadosen und Plüschtieraffen.
Meine Mutter existiert auch als ein sich bewegender Mensch in meiner Erinnerung und es gelingt mir auch, sie in nie dagewesene Fantasieräume zu setzen, wenn ich mich anstrenge, doch es fällt mir schwer. Ich denke, das Schubladenarchiv meines Hirns hat wohl die Karteikarte zum Begriff ‘Mutter’ mit dem eindeutigsten Bild beschrieben: Eine Frau, die ein Neugeborenes in ihren Armen hält.
Ausgangspunkt für die faschistoide Qualität der Bilder ist lustigerweise ein Gedanke Roland Barthes zum Wesen der Wörter gewesen: “… die Sprache als Performanz aller Rede ist weder reaktionär noch progressiv; sie ist ganz einfach faschistisch; denn Faschismus heißt nicht am Sagen hindern, es heißt zum Sagen zwingen.” Sobald der Mensch die Sprache erlernt hat, kann er nicht mehr anders, als sie im inneren Monolog (den Gedankengängen) wieder und wieder zu produzieren. Überfallartig aus dem Nichts: EIER KAUFEN!
Zum Bild, das verbirgt, anstatt zu offenbaren, schießt mir Kiarostami und seine Position, dass nur der halbe Film für ihn interessant ist, in den Kopf – Im Anschluss die Frage: Stellst Du Dir manchmal vor, dass das Bild hinter den Grenzen seiner Rahmung weitergeht? Gibt es in Deinem Kopf gar den Spiegel zum tatsächlich vorhandenen Bild, den Gegenschuss, welcher dem gerade laufenden Film eine Form von Dreidimensionalität verleiht?
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19.07.2021, 11:02
Lieber Leo,
ich stelle mir IMMER vor, dass ein Bild hinter der Rahmen weiterläuft…für mich ist es das, was Kino seine Magie verleiht. Die Leinwand ist keine abgeschlossene Welt, so wie ich es beispielsweise im Theater oft erlebe; die Leinwand gibt mir einen Impuls, der mich dazu beeinflusst, eine ganze neue Welt zu erleben.
Das Filmemachen wird dadurch zu einer Arbeit, die mit der Vorstellungskraft des Publikums arbeitet und dadurch deutlich weniger erklären muss. Es gibt keine unsichtbaren Worte, aber es gibt unsichtbare Bilder. Anders gesagt: Wörter beschreiben, was ist. Bilder können zeigen, was nicht ist, bzw. sein könnte. Bildlücken, die von jedem Individuum ausgefüllt werden können.
Ich spinne nur etwas herum….
Wenn jetzt laut Roland Barthes Bilder UND Worte faschistisch sind, frage ich mich, was da eigentlich noch übrigbleibt.
Vielleicht nur noch der Versuch, damit umzugehen.
Es war schön, mit dir zu schreiben.
Und jetzt muss ich mich wieder den Bildern widmen :^)
Ella Knorz ist eine einundzwanzigjährige Filmemacherin, die Filmregie an der HFF München studiert.
The streets are noisy and dusty where I’m from. The thing about making time pass is that it doesn’t require a lot of making. Among was a very good friend of mine, but he’s very quiet, he doesn’t make a lot of noise, you see. They also put condensed milk in coffee – it makes everything taste better – the condensed milk I mean. And Among would tell me – although he doesn’t talk as much – why he doesn’t like it in his coffee, he told me he understands that it lasts way longer than normal milk, but he thinks it’s a bit too strong for his taste.
On most Sundays I usually take the motorbike to SinUt (you know where they serve fresh chicken noodles and condensed milk coffee ) and I’d just sit there – smoking of course and eating – and wait and see who comes. It’s almost like an ongoing church service – except it’s better – no one tells us what is right and wrong and what we should do to obtain our one way ticket to the heavens. It’s just you and yourself but at the same time with the friendly company of quiet half-strangers. Half-strangers are people you know of. And there’s plenty of them. Among is a step higher than half-stranger to me – we don’t have each other’s address or landline numbers – I’m not even certain he owns a telephone back home. But we’d meet every Sunday.
Cause I’m there. And so is he.
Edlin Jap is a 19 year old Photographer and Art Director who’s currently in search for herself in the city of Berlin, or more precisely in the heart of Kottbusser Tor.
„I have to say after Days of Being Wild – because the film did not do well in the box office – it was very difficult to find someone to produce our film. So we started our own company and we produced our own productions. Most of the time we were working with very tight budgets. Like Chungking Express – basically we made this film like a student film. We didn’t have time for a big setup. At that point, we called ourselves CNN. We just did it like CNN, bring the camera and shoot it, without permit, without any license. We even got caught because we shot in the subway without any license and we had a warning from the airport because we just broke in there and shot it. Everyday is like planning a robbery. And in fact some of our style came from there, a lot of handheld and step-printing.“ – WKW, Museum of the Moving Image Pinewood Dialogues, 2008