
Anfang 2020, kurz bevor das Virus nach Deutschland schwappte, produzierte ich eine Handvoll Bewerbungen für ein Filmregie-Studium an sechs staatlichen Hochschulen: Filmakademie Ludwigsburg, HFF München, Hamburg Media School, Babelsberg, Filmakademie Wien und DFFB. Endlich Ernst machen mit dem ganzen Film-Ding. Meine Bewerbung an der DFFB schickte ich im letzten Moment dann doch nicht ab, da sie meine zweite – also letzte – Möglichkeit verkörpert hätte, an der für mich legendären Institution zu studieren. Zudem stimmte beim Dreh wohl irgendwas mit dem Shutter Speed nicht.[1] Dabei hatte ich die 30€ Bewerbungsgebühr bereits überwiesen. In Wien und Babelsberg[2] wurde ich direkt abgelehnt. Einladungen zum Eignungstest erfolgten in Ludwigsburg, München und Hamburg. Ich spekulierte, dass wohl ungefähr die doppelte Anzahl an Bewerber*innen pro Prüfung eingeladen werden würde. Die Stochastik lehrt bekanntermaßen, dass die Wahrscheinlichkeit, bei drei Münzwürfen mindestens einmal Kopf zu erwischen, 87,5% beträgt. Insofern die Götter also nach Zufallsprinzip entscheiden würden, stünden die Chancen ziemlich gut – so meine Rechnung. Spoiler: geklappt hat es nirgendwo. Vielleicht bad luck. Vielleicht bin ich ganz gut darin, vielversprechende Bewerbungsmappen zusammenzustellen, wirke dann in Person aber irgendwie inkompetent. Wahrscheinlich waren die anderen Mitstreiter*innen einfach talentierter und verdienten den Platz an der Sonne mehr als ich.
Gründe für eine Abfuhr lieferte ich mit einer an Selbstsabotage grenzenden Sturheit jedenfalls genug. Für die Aufgabe, einen 5-Minüter in 72 Stunden zu drehen, reichte ich, Augenringe bis zum Kinn, da Anschlusszug dank Verspätung verpasst, also auf den Nachtzug ausweichen müssend, einen knapp 8-minütigen Kurzfilm ein, dessen erste Hälfte das Komitee „an die Leichtigkeit von Éric Rohmer“ (ich werde ganz rot) erinnerte, dessen zweite Hälfte es sich jedoch aus Fairness-Gründen nicht ansah. Das nächste Eignungsgespräch empfand ich als regelrecht unangenehm. Zuvor wurden wir Möchte-Gern-Filmschaffenden dazu aufgefordert, ein paar Seiten Skript zu verfilmen, in dem sich zwei Elternteile gegenseitig beschuldigen, für den drogeninduzierten Ertrinkungstod ihres Kindes verantwortlich zu sein. Ich konnte absolut gar nix mit dem Drehbuch anfangen, fühlte mich inhaltlich an eine Seifenoper erinnert und empfand wirklich nicht die geringste Lust, den klischeebehafteten Dialog zu inszenieren. Vollkommene Blockade. Der einzige Ausweg schien mir, das Buch als Spiel im Spiel aufzuziehen: als eine Sitzung beim Paartherapeuten, i.e. dem Regisseur, mir, in welcher die beiden Elternteile, mittels des vorgegebenen Stoffs, die Kältewüste zwischen ihnen zu durchqueren versuchen, letztendlich aber natürlich aus den ihnen zugewiesenen Rollen fallen, um über das eigentliche Thema, eine Abtreibung, zu sprechen. Der Film ist – siehe unten [B] – dank der tollen Schauspielleistungen meiner Filmfreund*innen Cosmea Spelleken (Regie, Wien) und Aart Steinmann (Alumnus Drehbuch, DFFB) in meinen Augen ziemlich gut geworden. Ob das Auswahlkomitee mich lediglich in die nächste Gesprächsrunde ließ, um mir meine Arroganz heimzuzahlen, weiß ich nicht. Vielleicht fanden sie das Filmchen auch tatsächlich spannend.
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INT. – LEOS WG-ZIMMER – DAY
LEO (Anfang/Mitte 20) sitzt vor seinem Laptop. Auf dem Bildschirm: die Miniaturversionen von den drei Männern, welche über sein Schicksal entscheiden. Einer von ihnen, DER EWIGE (Schöpfer des Kosmos, also mindestens 13.799±0.021 Milliarden Jahre alt), trägt eine schwarze Sonnenbrille, hängt apathisch in seinem Bürostuhl und scheint allgemein desinteressiert.
DER EWIGE
„Warum wollen Sie [bei uns] studieren?“
LEO
„Ich begebe mich natürlich auf dünnes Eis, weil ich lediglich einige der Trailer von den Studi-Filmen auf Ihrer Website geschaut habe, aber ich bin ein Anhänger des deutschen Autorenfilms.“
DER EWIGE
„Da begeben Sie sich nicht nur auf dünnes Eis, sondern sind bereits im kalten Wasser. Sowas machen wir hier nicht.“
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Fair enough: meine Recherchen waren offensichtlich recht lückenhaft. Grundsätzlich ist es wohl nie ein gutes Zeichen, in einem Auswahlgespräch zunehmend so irritiert zu sein, dass man gegen Ende („Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“) die Frage nach dem Zweck des Gesprächs als solchen stellt, nun, da die Inkompatibilität zwischen Institution und Selbst so offen klafft. Ein offizielles Ablehnungsschreiben erhielt ich nie.
2021 versuchte ich es wieder. Diesmal nur in Babelsberg. Ich wollte nicht weg aus Berlin und die DFFB nahm, aufgrund von Corona, für ein Jahr keine Neuzugänge auf. Abermals wurde ich eingeladen. Abermals wurde ich abgelehnt. Diesmal mit den Worten: „In einem anderen Jahr hätte es vielleicht geklappt, wir waren selbst überrascht.“ Ein anderer Dozent fügte hinzu, dass es an seiner Bewertung für die von ihm betreute Aufgabe gelegen hätte (irgendwie sadistisch, aber irgendwie auch ehrenhaft), ich aber bestimmt sehr klug sei. Ich glaube, er sagte dies aufgrund meiner recht auffälligen Hornbrille. Wie auch immer. Meine Mitbewerber*innen waren tatsächlich alle sehr nett und auch bestimmt sehr fähig. In der Retrospektive bereue ich es lediglich, in der Reflexion zu meiner Inszenierungsaufgabe gesagt zu haben, dass ich mir die Szene wie aus einem Film von Cassavetes vorstelle, woraufhin eine Prüferin entgegnete, dass Cassavetes für sie Gott ist. Naja. In der S-Bahn zurück nach Berlin freundete ich mich dann mit einem weiteren Mitbewerber, s/o Gabriel G., an (wir kamen auf die Frankfurter Rapper Celo & Abdi zu sprechen). Er kam dann noch mit zu mir und wir aßen eine Pizza auf unserem Balkon. Es war Sommer. Ich trank viel Weißweinschorle, erst mit ihm, dann mit meiner WG. Am nächsten Tag hatte ich einen Kater.
Mittlerweile verfüge ich über so etwas wie eine ironische Distanz zu meinen Filmhochschul-Bewerbungen, nehme die Zurückweisungen nicht so hart, bin ummantelt in einen Wattebausch der institutionellen Verachtung und versuche meine persönlichen ‚Probleme‘ in einem allgemeinen Kontext, e.g. als solche der imaginären Sorte zu verstehen. Aber ich bin letztendlich doch Subjekt, ein Ich, das seine Wünsche im Rahmen seiner Lebenswelt strukturiert, trotz des abstrakten Bewusstseins meiner Privilegien. Einzig der Gedanke, dass ein Studium an einer Filmhochschule noch lange kein Garant ist für die Möglichkeit, einen Langspielfilm zu machen, ein Langspielfilm noch lange kein Garant ist für einen zweiten, verunsichert mich. Mit anderen Worten: wie soll ich bloß ein Publikum, irgendeine Form der fragmentierten Öffentlichkeit von meinen Filmen überzeugen, wenn ich es noch nicht einmal schaffe, ein Auswahlkomitee an einer Hochschule für mich einzunehmen, die Gatekeeper meilenweit vor der wirklich engen Stelle des Flaschenhalses bereits mit dem Kopf schütteln? Dabei nimmt Kino doch eine so zentrale Rolle in meinem Alltag ein. Dabei bin ich doch eigentlich davon überzeugt, dass mit genügend Entschlossenheit beinahe Alles möglich ist. Und doch mache ich keine Nachtschichten als Schweißer in einer Stahlfabrik, um meinen ersten Film zu finanzieren, wie Werner Herzog es tat. Und doch gehe ich nicht an die Diamantbörse in Antwerpen oder stehle in drei Wochen 4000$ aus der Kasse eines Sexkinos auf der 55th Street, wie Chantal Akerman es tat.
Wieso eigentlich nicht?
Beweisstück [A]
Beweisstück [B]
[1] Für den 3-Minüter zum Thema „Liebe“ filmte ich meine Großeltern. [A]
[2] Während mir zwei, drei Jahre zuvor in dem Multiple-Choice-Ablehnungsschreiben noch attestiert wurde, dass meine Fähigkeiten „nicht vorhanden“ seien, waren sie nun immerhin „nicht ausreichend vorhanden“.