Filmkritik zu The Tragedy of Macbeth
Hexen, Geister, abgetrennte Gliedmaßen, Gerede von Erektionsstörungen und jede Menge Blut — Shakespeares Macbeth ist der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind. Oder auch das gewisse Etwas, das einen billigen Horror B-Film einzigartig machen kann. Allein der Name flößt noch immer so viel Angst ein, dass er nicht in einem Theater ausgesprochen werden darf. Trotzdem traut sich alle paar Jahre eine weitere Regisseur*in Shakespeares dunkelstes Stück für die Leinwand zu adaptieren. Akira Kurosawa, Orson Welles, Roman Polanski. In diese großen Fußstapfen folgt dieses Jahr Joel Coens The Tragedy of Macbeth. Ein mutiger Schritt, seinen ersten Film, der nicht im co-genialen Tandem mit Bruder Ethan Coen entstehen würde, diesem Text zu widmen. Und als auch noch bekannt wurde das Indie-Darling A24 den Film produziert, waren die Erwartungen kaum noch zu überbieten. Shakespeare, Coen, A24. Es war als würden einem drei Hexen in einer Berlin-Mitte Boutique den Kaffeesatz lesen. Die Prophezeiung: Something wicked this way comes.
Auf den ersten Blick erfüllt Coens Debüt als alleiniger Regisseur auch diese großen Erwartungen. Der Film ist ein technisches Meisterwerk. Auf den zweiten Blick ist es jedoch eine stumpfe und tödlich prätentiöse Interpretation von Shakespeare. Über allem thront der Minimalismus. Coen hat in seiner Version eine klinisch reduzierte Welt geschaffen. Angefangen bei dem kontrastreichen Schwarz-Weiß bis hin zu der klaustrophobischen Kadrage im 4:3 Format, gipfelt diese Ästhetik im spartanischen Szenenbild. Anders als seine Vorgänger hat Coen nämlich nicht auf die Authentizität von mittelalterlichen Burgen vertraut, sondern den gesamten Film im Studio gedreht. Die komplette Kontrolle des Filmemachers über die Mise-en-scène ist dadurch in jeder Einstellung überwältigend. Kahle Torbögen, eigens geschaffene Wolkenbilder oder endlose Wüsten konnten so perfekt arrangiert werden, um kantenscharfe Schattenspiele zu inszenieren. Es sind abstrakte Schachbrettmuster, die so auf der Leinwand entstehen. König und Königin dieses Schachspieles sind Denzel Washington und Frances McDormand, die den kühlen Hintergrund durch ihr unnachahmliches Spiel mit Leben füllen. Anders als Roman Polanski oder Orson Welles, die langatmige Monologe durch Voice Over abkürzten, traut Coen den beiden auch die längsten Textpassagen vor der Kamera zu. Und das mit Erfolg. Man hängt an den Lippen der beiden sowie auch an den buschigen Augenbrauen von Bertie Carvel, der den treuen Königsmacher Banquo verkörpert.
Diese Lichtblicke werden aber durch das theaterähnliche Szenenbild und dem absoluten Minimum an Inszenierung erdrückt. Coen verbildlicht somit, wie kein anderer Regisseur vor ihm, das Motiv des unausweichlichen Schicksals, welches Macbeth nicht entkommen kann. Jedoch fehlt somit der Geschichte jegliche Tiefe. Sobald das Auge sich an den stylischen Look gewöhnt hat, wird jeder weitere Monolog, jede dramatische Pause zu einer Farce. Denn die Charaktere kommen nie über den Status von Spielfiguren, die einer Ikea-artigen Anleitung folgen, hinaus. Coens künstlerische Vision ist also genauso zermürbend für die Zuschauer*in wie das allgegenwärtige Schicksal für Macbeth. Es erdrückt jede Emotion, jeglichen Horror, der diese Geschichte so spannend macht. Macbeth kann nur wirklich zur Tragödie werden, wenn ihr Protagonist sich auf manische Art und Weise daran versucht, dem Schicksal zu entkommen. Es ist die Hybris, der Größenwahn, das Streben nach Macht und die menschlichen Abgründe, die dieses Shakespeare Stück unsterblich machen. Doch in Coens Interpretation wird all dies glattgebügelt und unter glänzenden Flächen begraben.
Wenn Macbeth von Banquos Geist heimgesucht wird, reißt sich Denzel Washington nicht etwa die Haare aus oder verfällt einer wütenden Raserei. Nein, in dieser Verfilmung schreitet er aus einem kahlen Zimmer in das nächste, landet punktgenau auf seiner Markierung und setzt nahtlos zum Monolog an. Zugegeben, die wenigen Haare könnte sich Mr Washington nur schwer ausreißen, aber trotzdem kann man nicht umher die Leinwand anschreien zu wollen. Trau dich doch etwas! Ist man der elitären Lesart, die Shakespeare auf ein unerreichbares Podest erheben will, nicht längst satt geworden? Kurosawas Macbeth-Adaption Throne of Blood entzauberte doch schon vor mehr als 50 Jahren den Mythos, dass Shakespeare nur einem elitären Theaterpublikum zugänglich ist. Durch blutrünstige Action-Sequenzen wurde Macbeth zu einem Kinoerlebnis. Es war eine Rückkehr zu Shakespeares Anfängen, als seine Stücke als Spektakel für die Massen inszeniert wurden. Erst später wurden seine Stücke dann als Genuss für wenige fetischisiert. Schon bei seiner Uraufführung im 17. Jahrhundert muss Macbeth eher wie ein Splatter Film gewirkt haben als ein klassisches Drama. Coen tauscht aber Schweineblut und Schießpulver für viel Theaterschminke ein. Es ist genau dieses Missverständnis, welches Shakespeare abtötet, ihn wieder und wieder zu der Galionsfigur einer verstaubten Bildungsklasse macht. Und aus all seinen Stücken bietet Macbeth die größte Chance damit zu brechen. Es könnte ein blutrotes Feuerwerk sein, welches auf der Kinoleinwand abgefackelt wird und dem alten Text neues Leben einhaucht.
Sowie ich das sehe, sollte echtes Kino sich wagen, Shakespeare in die Gosse zu ziehen, Macbeth in Blut zu ertränken. Alles andere ist eine Verschwendung der gewaltigen Emotionen, die dieser alte Text immer noch entfesseln kann. Ich will Shakespeare nicht als hohes Kulturgut aufgezwungen bekommen, das nur mit Samthandschuhen angefasst werden darf. Heute will ich Macbeth als Splatter-Film sehen, der einem Serienmörder mit schwarzen Lederhandschuhen folgt und literweise mit Kunstblut um sich wirft. Nehmen wir zum Beispiel das Genre des Giallos, des Spaghetti-Horrors. Wie kein Zweiter hat Giallo Meister Dario Argento in seinen Filmen das hässliche Gesicht der menschlichen Begierde unter viel Kunstblut freigelegt. Ähnlich wie Shakespeare spielt er mit den Abgründen, die sich auftauen, wenn man sich dem Verlangen nach Macht, sei es politischer oder sexueller Natur, total unterworfen hat. Argentos Film Panik in der Oper wird zwar nie als Macbeth-Interpretation angesehen, aber es ist der Film, der dem Original am meisten Ehre macht. Die gewaltsamen Morde an einem Opernensemble, das Macbeth aufführt, werden hier so genussvoll dargestellt, dass jeder Hieb und Stich des Serienmörders mehr aussagt als alle Monologe in Coens neuem Film. Während Coen wenig Neues in Shakespeare findet, ergründet das Genre des Giallo-Horrors die menschlichen Abgründe auf selbstreflexive Art und Weise. In Panik in der Oper lässt Argento eine entfesselte Kamera die Opfer des Serienmörders in langen Einstellungen unerbittlich verfolgen. Das Spiel dauert so lange, bis die Zuschauer*in sich bewusst wird dem Mord genauso entgegenzufiebern wie der fiktive Mörder. Das Horror-Genre entpuppt sich hier selbst als Spiegel der eigenen Gewaltbereitschaft. Eine Gewaltbereitschaft, die in den johlenden Zuschauer*innen des 17. Jahrhunderts genauso vorhanden war wie heute in den stillen Sitznachbar*innen eines abgedunkelten Kinosaals. Also: Mach mehr Giallo, Coen! In anderen Worten, traue es der Zuschauer*in wenigstens zu, etwas Neues in den alten Formen des Theaters zu erkennen. Mit dem Western The Ballad of Buster Scruggs hattest du schon mal einen Goldschatz an neuen Erkenntnissen mittels einem altbekannten Genre ausgegraben. Die einzige Frage, die nun nach The Tragedy of Macbeth über bleibt, ist also, was ist hier die wahre Tragödie? Das ein großes Shakespeare Stück einen schrittweit unzugänglicher gemacht wurde, oder das dem großen Joel Coen ohne seinem Bruder an der Seite einfach der Witz fehlt?
LG vom LG (Louis Gering)